Experten ziehen Zwischenbilanz: Von der Kohle zur Digitalregion

Bergheim, 12. September 2025. Annähernd 100 Gäste aus Kommunalpolitik, Wirtschaftsförderung, Immobilienwirtschaft, Rechenzentrumsplanung und Telekommunikation trafen sich auf Schloss Paffendorf, um eine Zwischenbilanz des Strukturwandels im Rheinischen Revier zu ziehen. Die Veranstaltung wurde mit Grußworten von Alexander Rabe, Geschäftsführer des eco e.V. sowie Susanne Kayser-Dobiey, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Rhein-Erft eröffnet und spiegelte die positive und zukunftsorientierte Stimmung wider, die den gemeinsamen Willen zur Gestaltung der digitalen Zukunft des Reviers unterstrich.

Die Vision: Rechenzentren und Digitalparks als Zukunftsmotoren

Der umfassende Transformationsprozess im Rheinischen Revier zielt darauf ab, digitale Infrastrukturen als neues Rückgrat der Wirtschaft zu etablieren. Gastgeber Erik Schöddert von der RWE Power AG und Geschäftsführer der Perspektive.Struktur.Wandel GmbH, die sich der Qualifizierung komplexer RWE-Standorte für Nachnutzungen widmet, unterstrich die aktive Rolle der RWE als Partner des regionalen Strukturwandels. Die Vision ist klar: Einstige Kohle- und Fabrikstandorte sollen zu modernen Gewerbe- und Industrieparks, den sogenannten Digitalparks, revitalisiert werden, die energieintensive IT-Nutzungen ermöglichen.

Volker Ludwig, Managing Director von Digital Realty Germany und Co-Sprecher der durch den eco Verband initiierten Allianz zur Stärkung Digitaler Infrastrukturen, hob in seiner Keynote die strategische Bedeutung digitaler Infrastrukturen für die Stärkung des regionalen Wirtschaftsstandortes hervor. Rechenzentren werden dabei als “Rückgrat digitaler Souveränität” und als volkswirtschaftliche Infrastruktur verstanden, deren Kapazitätswachstum in Deutschland bis 2045 massiv zunehmen wird. Die Ansiedlung solcher Infrastrukturen erfordert jedoch eine solide Basis aus Fläche, Baurecht, Energie- und Glasfaseranbindung, Trägerschaft, Fördermitteln und einem tragfähigen Geschäftsmodell.

Konkrete Projekte und lokale Akteure treiben den Wandel voran

Ein herausragendes Beispiel für diesen Wandel ist die Ansiedlung von KI-Rechenzentren durch Microsoft mit einem Investitionsvolumen von allein 3,2 Milliarden Euro im Rheinischen Revier, mit geplanten Standorten in Bedburg und Bergheim. Zeitgleich zur Veranstaltung wurde der dritte Hyperscale-Standort in Elsdorf verkündet. Sascha Solbach, Bürgermeister der Stadt Bedburg, bezeichnete Hyperscale-Rechenzentren als die neuen Kraftwerke der Region und sieht darin eine Grundbedingung für weitere Ansiedlungen aus dem Technologiesektor.

Volker Mießeler, Bürgermeister der Kreisstadt Bergheim, betonte in der abschließenden Diskussionsrunde mit Andreas Weiss, Geschäftsführer des eco e.V., die Bedeutung dieser Ansiedlung für die Stadt Bergheim und die erwarteten positiven Sogwirkungen für weitere Digitalparks und Gewerbeansiedlungen.

Die Veranstaltung befasste sich mit der Entwicklung von Digitalparks, die als Gewerbe- oder Mischgebiete mit einem Fokus auf die besonderen Bedarfe der Digitalwirtschaft und einem ganzheitlichen, nachhaltigen Quartiersmanagement definiert sind. Beispiele hierfür sind der geplante Digitalpark Elsdorf und der „Innovation Park Bergheim“ am Kraftwerksstandort Niederaußem, der sich als Impulsgeber für die Region positioniert.

Energieversorgung und Nachhaltigkeit: Die Rolle von OnSite-Generation

Die Energieversorgung großer Rechenzentren stellt derzeit eine zentrale Herausforderung dar, da 75% der europäischen Betreiber den Zugang zu grüner und sicherer Stromversorgung als größtes Hindernis ansehen. Manuel Gerdsmeyer von RheinEnergie ging in seinem Vortrag auf innovative Lösungen zur Sicherstellung der Energieversorgung, insbesondere die OnSite-Generation, ein. Diese Technologie, basierend auf Gasmotoren oder Brennstoffzellen, kann temporäre Netzengpässe überbrücken und eine schnelle Stromversorgung innerhalb von weniger als 24 Monaten ermöglichen ‒ auch dort, wo Netzanschlüsse limitiert sind.

Ein weiteres Schlüsselthema war das Thema Abwärmenutzung von Rechenzentren. Obwohl gesetzlich vorgeschrieben, ist die Umsetzung aufgrund fehlender Wärmesenken, geringer Bedarfe im Sommer und langer Distanzen zu Abnehmern komplex. Manuel Gerdsmeyer betonte jedoch das enorme Potenzial der Abwärme für die Dekarbonisierung ganzer Wärmenetze und als Standortvorteil für neue Ansiedlungen wie Digitalparks oder Vertical Farming. RheinEnergie bietet dabei Lösungen an, um Rechenzentren und Wärmeverbraucher zu verbinden und die Nutzung der Abwärme zu ermöglichen.

Transformation hautnah: Eindrücke von der Bustour

Vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung bot eine exklusive Bustour den Teilnehmenden die Möglichkeit, den Strukturwandel des Rheinischen Reviers hautnah zu erleben. Die Tour führte zu den Baustellen der Hyperscale-Rechenzentren in Bergheim und Bedburg, zu den künftigen Digitalpark-Flächen sowie zu einstigen Symbolen der Kohleverstromung: dem Tagebau Hambach und dem Kraftwerk Niederaußem. Der Tagebau Hambach, einst das Herzstück der Braunkohleförderung und der tiefste oberirdische Punkt Europas, wird sich bis 2080 in einen riesigen See, den Hambacher See, verwandeln und die zukünftige Identität der Region prägen.

Die Tour zeigte eindrücklich, wie die ehemaligen Industrie- und Abbauflächen zu Gebieten für erneuerbare Energien, wie etwa Solarstromerzeugung an den Böschungen, und für digitale Infrastrukturen umgenutzt werden.

Fazit und Ausblick

Die Veranstaltung auf Schloss Paffendorf zeichnete ein klares Bild des Rheinischen Reviers im Wandel: Eine Region, die ihre industrielle Vergangenheit als Chance für eine digitale Zukunft nutzt. Panels und Vorträge deckten die strategische und umsetzungsbezogene Aspekte des Wandels ab. Sie zeigten das gemeinsame Engagement verschiedenster Akteure, von Kommunalpolitikern wie Bürgermeister Mießeler und Bürgermeister Solbach bis hin zu Branchenexperten wie Erik Schöddert, Volker Ludwig, Maxi Kussatz und Manuel Gerdsmeyer.

Die Notwendigkeit branchenübergreifender Kooperation und die Qualifizierung von Fachkräften in der IT-Branche wurden als entscheidend für den Erfolg des Transformationsprozesses hervorgehoben. Das Rheinische Revier ist auf dem besten Weg, sich durch die gezielte Ansiedlung von Rechenzentren und die Entwicklung von Digitalparks als zukunftsweisende digitale Hochburg im Herzen Europas zu etablieren.

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